Ein Lehr-Lern-Modell zum Lehren und Lernen
Das Verhältnis von Lehren und Lernen
Lehrende brauchen und haben Modelle für Lehr-Lern-Prozesse, denn niemand unterrichtet „modelllos“. Die Frage ist, wie implizit oder explizit diese Modelle das jeweilige Lehren bestimmen und wie öffentlich und transparent die Modelle und Vorstellungen sind.
„Niemand unterrichtet ohne Modell."
Ein Lehr-Lern-Modell ist ein von Lehr-Lern-Experten geschaffenes theoretisches Konstrukt zur Professionalisierung des Lehrens mit dem Ziel, dass Lerner wirksam und gut lernen. Modelle sind objekthafte, bildhafte, symbolische oder begriffliche Darstellungen, die unsere Begegnungen mit der Welt ordnen, strukturieren, kategorisieren. Modelle sind Denkräume auf Probe und Hilfsmittel der Theorieentwicklung und sind ein Kommunikationsmittel. Modelle vereinfachen, verkürzen, idealisieren, sind vorläufig, sind nicht wahr, sondern passend, sind verhandelbar, haben Grenzen, gelten für einen Bereich und haben einen bestimmten Zweck.
Viele gängige Lehr-Lern-Modelle sind jedoch bloße Lehr-Modelle, d.h. sie fokussieren auf das Lehren, also auf das, was die Lehrkraft tut. Ein Lehr-Lern-Modell muss aber auf das Lernen und auf das Wirkungsverhältnis von Lehren und Lernen zentrieren. Die Frage ist also, wie die Lernprozesse und die Lehrprozesse zusammenspielen.
Lerner treten mit Vorwissen, mit Vorerfahrungen und mit einem Bestand an Kompetenzen in die Lernumgebung des Unterrichts ein und verlassen diese Lernumgebung mit mehr Wissen, mehr Können und mit erweiterten und verbesserten Kompetenzen (Kompetenzorientierung). Das Lernen findet in einer Lernlinie (Lernerorientierung), also in einer zeitlichen Abfolge von Lernschritten, statt.
"Entscheidend ist das Verhältnis von Lehren und Lernen.“
Die Lerner bearbeiten an passender Stelle Lernmaterialien, indem sie kalkuliert herausfordernde Aufgabenstellungen (kalkulierte Herausforderung) bearbeiten, Informationen auswerten, sich mit den fachlichen Inhalten auseinandersetzen und dabei Kompetenzen entwickeln. Dabei entstehen Lernprodukte (Lernproduktorientierung) materialer Art (z.B. Tabelle, Mindmap, Text, Skizze, Bild, Diagramm, Experiment, …) oder auch immaterieller Art in Form von Erkenntnissen, kognitiven Strukturen, Urteilen und Werthaltungen. Das ist der zentrale Lernschritt und alle vorgängigen führen dahin, alle nachfolgenden bauen darauf auf. Die erstellten Lernprodukte tragen eine persönliche Handschrift (Personalisierung) bzw. die der Gruppe und werden im Plenum diskutiert und verhandelt (Ko-Konstruktion). Ein Lernschritt, in dem vernetzt und transferiert wird, schließt die Lernlinie ab. (Eine detaillierte Beschreibung findet sich in Leisen 2013 und Studienseminar Koblenz 2015.)
Die Schrittfolge kann auch als Dreischritt formuliert werden, umfasst jedoch die genannten kognitiven Handlungen.
Die beschriebene Schrittfolge umfasst eine Lerneinheit. Das muss und kann nicht immer eine 45-Minuten-Stunde sein. Die Schrittfolgen verteilen sich oft über mehrere Unterrichtsstunden, können sich aber auch auf eine kurze Lernsequenz beziehen. Das Modell lässt zu, dass es Verzweigungen gibt, dass Schritte wiederholt oder übersprungen werden. Aber einige Phasen sind für den kompetenzorientierten Unterricht unverzichtbar: Die Erstellung eines Lernproduktes und die Verhandlung desselben sowie die Sicherung und Festigung des Gelernten. So entwickeln sich nämlich Wissen und Handeln nachhaltig im Sinne des Verständnisses von Kompetenz als „handelnder Umgang mit Wissen und Werten.“
Das Lehr-Lern-Modell unterscheidet die Funktionen von Lehren und Lernen, weist Lehrern und Lernern ihre entsprechenden Rollen und Aufgaben zu und modelliert das Verhältnis von Lehr- und Lernprozessen. Die Lehrerleistungen bestehen in den Steuerungen der Lernprozesse.
"Die Lehrerleistungen bestehen in den Steuerungen der Lernprozesse.“
Steuerung 1: Aufgabenstellungen
Gute Aufgabenstellungen sind der Motor förderlicher Lernumgebungen. Aufgabenstellungen beinhalten Arbeitsaufträge, Lernmaterialien und Methoden. Letztere steuern maßgeblich den Lernvorgang und materialisieren die Lernumgebungen.
Steuerung 2: Lernmaterialien, Methoden und Medien
In der Mitte des Lernens bearbeiten die Lernenden Lernmaterialien, stellen Lernprodukte her und diskutieren dieselben. Mit den Lernmaterialien (z.B. Gegenstände, Experimentiermaterialien, Bilder, Zeichnungen, Texte, Hörtexte, Filme, Comics, Sprechblasen, Berichte, …), die von Methoden und Medien (z.B. Lehrervortrag, Experiment, Film, Sachtext, Unterrichtsgespräch, multimediale Lernumgebung, Internetrecherche, Podcast, Experteninterview, …) begleitet sind, steuert die Lehrkraft die Lernprozesse material.
Die Steuerungen 1 und 2 sind meistens „Schreibtischprodukte“ der Lehrkraft, sind vorbereitet und haben materialen Charakter. Die Steuerungen 3 und 4 sind immer situativ und haben personalen Charakter.
Steuerung 3: Moderation
"Die Moderation ist immer persönlich geprägt, muss aber unabhängig von der Lehrerpersönlichkeit professionellen Standards genügen.“
Der Lernprozess wird von der Lehrkraft lernschrittgerecht verbal begleitet und personal gesteuert. Ihrem professionellen Geschick obliegt es, die Lernmaterialien und Lernerbeiträge moderierend in den Lernprozess einzubinden und im Diskurs zu verhandeln. Die Moderation ist immer persönlich geprägt, muss aber unabhängig von der Lehrerpersönlichkeit professionellen Standards genügen.
Steuerung 4: Rückmeldung
Von der Lehrkraft angeleitete Reflexionen über die Lernvorgänge (Metareflexionen) und qualifizierte Rückmeldungen durch die Lehrkraft sind im Lernprozess wichtig, um Könnensbewusstsein, Lernerpersönlichkeit und Selbstvertrauen zu entwickeln. Die Rückmeldungen gehen an die einzelnen Lerner, aber auch an die gesamte Lerngruppe. Die Lehrkraft holt bei den Lernern Feedback ein, um Bewusstheit über die Wirksamkeit des eigenen Lehrens zu erhalten.
Besonders wirksam ist die kooperative Erstellung der Lernprodukte. So werden die Lernenden in den handelnden Umgang mit Wissen und Werten gebracht (Kompetenzorientierung). Die Herstellung wie der Austausch über die präsentierten Lernprodukte findet immer in der Interaktion mit anderen statt (Ko-Konstruktion).
"Lernprodukte sind das „Herzstück“ des Lehr-Lern-Modells.“
Interaktion und Austausch in der Gruppe und zwischen den Gruppen sind selbstregulatorisch lernwirksam und klärend. Lernprodukte tragen immer die persönliche Handschrift des Lerners bzw. der Gruppe. Sie unterscheiden sich hinsichtlich Kreativität, Herstellungsweg, Gestaltung, Qualität, Umfang, Richtigkeit, Attraktivität, ... In den verschiedenen Lernprodukten liegt ein Mehrwert, der in der Präsentation und im Austausch herausgeholt werden muss.
"Zur Professionalität gehört eine gute Diagnose.“
Eine gute Vorabdiagnose der Lernvoraussetzungen und eine mitlaufende Diagnostik im Sinne eines „Lehr-Lern-Radars“ sind unabdingbar für gelingenden Unterricht. Wie will man einem Schüler eine Rückmeldung geben, wenn man nicht um seine Vorstellungen, seine Konzepte, sein Vorwissen weiß? Wie will man einen Kompetenzzuwachs erreichen, wenn man die Lernvoraussetzungen nicht beachtet, wenn man das Potenzial, das in den verschiedenen Lernprodukten liegt und wenn man das Potenzial der Lerngruppe nicht wahrnimmt?
Die mitlaufende Diagnostik bestimmt maßgeblich die Moderation und das Feedback und die Rückmeldung an die Lernenden. Welche Ideen sind für das Weiterlernen bedeutsam und werden wann und wie aufgegriffen? Welche Rückmeldung erhält welcher Schüler über seinen Beitrag, die Lerngruppe über ihr Arbeiten? Wo tun sich Lernschwierigkeiten und –hemmnisse auf, die in welcher Form und wann ausgeräumt werden? Wo tun sich in der Aufgabenstellung Probleme auf und wie werden diese situativ gelöst? Eine entscheidende Gelingensbedingung des Unterrichts in heterogenen Lerngruppen ist die permanente Diagnose des Lernstandes, der Lernfortschritte und Lernhemmnisse. Der „Diagnoseradar“ muss permanent in Betrieb sein.